Guntram Balzer - Gedichte


Was den Regen angeht
schrumpft der Tropfen

bald

am Morgen
geht der Vogel baden

dort

auf der zitternden
Spitze
sein ganzes Gewicht
sammelnd



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Standpunkt
Eßt Bleistifte
trinkt aus Radiergummis

macht sie mundtod
mit ihren Schreibgeräten

die Sesselfurzer und den
Standort koHL

geht weg von den allgemein
       verbindlichen Grübeleien,
den Tränensäcken und Klagetöpfen

und lasst euch freiwillig von
euresgleichen in den Mund schauen

dort wo die Wörter entstehen und
die Sätze noch Bestand haben

dann lacht sie nur aus
die Orthographiekünstler

die Schreiberlinge des
deutschen Kochbuches

jetzt wo alle Messen gelesen sind



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Abendveranstaltung
Und wieder schwimme
ich in Leder
und Kunststoff-
Hose mit Schultertasche
von Moschino-Band
zusammengehalten
über Stiefel, Schuhe,
Plattfüße, Zehengänger-
Innen in Nylon gepreßt als
Kontrast eine Deichmann-Tüte
und falsch angewendete
Modalverben: auf der
Rolltreppe häufen sich
hautnahe Berührungen
und was tragen wir
morgen die roten Stiefel
das Plastikkostüm
die Totenmaske



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Schwarz und Weiß
Gnädige Frau -
über die Kunst des Tiefschlafs
(wenn ich neben ihnen liege)
und des Träumens insbesondere
müssen wir uns noch einmal unterhalten
mein Vorschlag, wir einigen uns:
sie sagen mir ihre, ich ihnen meine
Ansicht und es gibt ein Vorher und
ein Nachher und
zwischendurch Zigaretten.



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IceTea fällt durch
saugen, schlucken, lutschen
Flutschfinger, Ed vom Schleck:
(Slogan: Schieben, schlecken,
Action - das ist Satisfaction)
Die heftigste orale Versuchung und
plötzlich sanft und süß nach der
Mutterbrust. Eine diskrete Annäherung
ermöglicht seit den Sechzigern das
Eiskonfekt: zwei kalte Finger, die sich
im Dunkeln des Kinos in einer Eisschachtel
treffen. Wie immer ist die Vanillieseite
zuerst weg. Was bleibt? Haselnuß in
brüchiger Schokoladenkuvertüre und
das Hämmern der Herzen in der Dunkelheit.
Um die erhitzen Körper weiter zu soleroisieren
gibt's jetzt in den Neunzigern neben der
Urform in Tropisch-Orange die rote Variante:
Waldfrucht. OB'S FRUCHTET? Mit
einem Eis verändert sich der Lauf
der Welt. Man hört auf zu hasten
und beginnt zu schlendern. Man
blinzelt in den Himmel, harte Blicke
tauen auf. Eine Eismaschine ist eine
Zeitmaschine. Gefühle sind auf Eis gelegt,
Konserve:Ich und mein Magnum ist ein typisches
Fraueneis, weil Männer sich in stressigen
Situationen gern etwas Größeres gönnen,
etwa ein Auto oder eine Freundin. So
schmilzt der Sommer und die künstlichen
Aromastoffe verlieren sich in der Sonne



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Ich gehe zur Arbeit,
das ist keine fragile einsame Sänfte
auf Zirruswolken: Gesichter
umtanzen Nasenflügel, von
denen ich nichts wissen will,
richten ihre hervorquellenden
Augen auf mich. Blick in der
privateigenem Psyche bunten
Innern. Die Monster in Pelz
und Folie
schwarz, schwärzer,
am schwärzesten, bartlos geschabt,
rouge betört, Chanel und Klein
waren nur den Bruchteil einer Sekunde
aktuell: Versuchen sie, probieren
sie ES!! Dann begegne ich den
Karikaturisten, ich nicke ihnen
zu. Auch sie sind ratlos wie die
Gedichteschreiber, die sich die Worte
aus den Rippen schneiden: Und sagte
kein weiteres Wort: Bis ich die rettenden
Türen erreiche, wate ich noch durch Seen von
Plagen: Rost, Seide, Aluminium
Ich bin Antonius. Dali hat mich gezeichnet




Guntram Balzer, geb. 1963 in Hagen/Westf., Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Düsseldorf, Buchhändler, verschiedene Veröffentlichungen in Zeitschriften (Unicum, Literaturdienst, Tasten) und Büchern (Wortnetze III, Zehn, Junge Lyrik dieser Jahre), neuerdings auch im Internet, lebt in Erkrath.