Eine Geschichte vom Telefonieren

von C. Mueller-Goedecke

An einem Abend verabredeten sie sich mit Freunden in einer Kneipe. Wie immer schon, weil ihnen nichts besseres einfiel. Ein Paar in den letzten Semestern eines zu langen und unnützen Studiums, seit Ewigkeiten zusammen, weil ihnen beiden auch da nichts besseres einfiel.

Nun war auch das Verabreden eine eingespielte Sache. Erst wurde die grundsätzliche Bereitschaft besprochen, abends was zu trinken und dann wurde abgemacht, daß man so gegen 21.00 ein telefonisches Signal gäbe, man bräche jetzt auf. Das bedeutete also, in zehn Minuten im Rodensteiner!

Dreimal läuten lassen, und dann wieder auflegen. Nur ja nicht nochmal 23 Pfennig verbraten, das Geld gibt man lieber in der Kneipe aus.

Diese Verabredungen trafen die Frauen miteinander, die Männer kamen mit. Später dann wollten die Frauen irgendwann nach Hause, aber dann mußten die Männer noch austrinken; der Rekord lag bei 5 weiteren großen Bieren nach der ersten Äußerung, daß sie jetzt müde sei und heim wolle. Aber alleine brach sie auch nie auf, vor ihm nach Hause gehen, das brachte sie auch nicht.

Nun, sie wählte die Nummer und wartete auf das dritte Freizeichen, um wieder aufzulegen. Aber schon nach dem ersten Läuten hob jemand ab. Eine Männerstimme meldete sich.

Verdutzt ist sie. Und glaubt, es sei der Mann der Freundin, besser Unikollegin, seine Telefonstimme kennt sie nämlich nicht so genau. Und dann platzt es aus ihr heraus: "Du solltest doch nicht abheben, hat sie dir das nicht gesagt? Wir gehen jetzt los, bis dann" und schon will sie auflegen. Aber er am anderen Ende sagt was, sie nimmt den Hörer wieder ans Ohr. "Was meinst du? Wir können das doch gleich besprechen!" "Sag mal, von was redest du eigentlich? Ich weiß überhaupt nicht worum es geht!" "Na, Rodensteiner eben. Bier und so..." "Sag mal, ich hab doch heute was ganz anderes vor! Und außerdem hab ich meinen trockenen Monat!"

Langsam kommen ihr leise Zweifel, ob sie wirklich mit dem Richtigen spricht und sie nimmt sich ein Herz. "Nun mal langsam, hat Gitte dir nicht gesagt, daß.." "Wer ist Gitte?" Jetzt versteht sie überhaupt nichts mehr, er anscheinend auch nicht. "Sag mal, das Ganze ist jetzt ein bißchen komisch, aber, bist du nicht Gitte's Mann?" "Tja, soweit ich weiß, nicht. Aber wer bist du? Deine Stimme kommt mir bekannt vor, deshalb hab ich gedacht, laß sie erst mal reden, vielleicht krieg ich ja noch raus, um was es geht. Ich bin jedenfalls nicht Gitte's Mann, wer immer sie auch sei, und den Rodensteiner kenne ich auch nicht..." U, das ist ihr peinlich und am liebsten würde sie jetzt sofort auflegen. Aber, seine Stimme klingt sympathisch und humorvoll und deshalb faßt sie sich ein Herz, mutig wie noch nie. "Okay, okay, das ganze scheint eine Verwechslung zu sein, ein Zahlendreher oder so, aber nachdem wir uns jetzt gegenseitig so was vorgestottert haben, hätte ich Lust, dich kennenzulernen. Vielleicht sind wir uns ja schon mal über den Weg gelaufen! Was meinst du? Aber auf keinen Fall im Rodensteiner! Mach mal 'nen Vorschlag."

"Ja, das muß ich mir jetzt geben, nach diesem mysteriösen Telefonanruf will ich wissen, wer dahinter steckt. Morgen abend, 10 Uhr, im Bogey's?"

Das ist ihr recht, Bogey's ist ein Laden, der von ihren Freunden nicht so recht frequentiert wird, da wird sie niemand kennen und sie, wie es immer wieder geschieht, nicht fragen, wie es ihr geht, sondern wo denn ihr Mann sei? Also stimmt sie zu: "Aber wie wollen wir uns erkennen? Mit ner Rose oder mit 'ner Tageszeitung?" "Laß uns 'ne Zeitung nehmen, aber nicht gerade die TAZ, und was hältst du davon, doch nicht im Bogey's, sondern dann auch richtig, im Foyer vom Central-Hotel? Wenn schon, denn schon...."

"Gut, dann mit der 'Rundschau' unter dem Arm, aber sei pünktlich, sonst verlier ich die Courage und verschwinde wieder." Und bevor sie es wieder rückgängig machen kann, legt sie schnell auf.

Kaum kann sie Atem holen, klingelt das Telefon und automatisch hebt sie ab. "Mann, erst telefonierst du so lange und dann hebst du auch noch ab! Wir könnten schon das erste Bier ....". Gitte's Stimme holt sie zurück und sie kann sich gerade noch zurückhalten, alles zu erklären. Das, was gerade passiert ist, behält sie doch lieber für sich.

Ihre Neugierde hatte ihre Zweifel übertönt. Und ihre Skrupel. In den zehn Jahren ihrer Ehe war nie etwas geschehen, was die Harmonie und den Gleichlauf zwischen ihnen beiden hätte stören können, nicht daß sie es so gewollt hatte, aber es hatte sich nie etwas ergeben, und es fehlte ihr irgendwie der innere Antrieb, aus dem Gewohnten auszubrechen und nun das...

Also betrat sie betont, geradezu angestrengt selbstverständlich das Hotel, durchquerte die Halle und schaute sich um. Sie schien tatsächlich als erste da zu sein, oder? In einem Sessel saß ein Mann, Mitte dreißig; er saß da, schaute sich die Leute in der Halle an und hatte die Rundschau neben sich auf das Sofa gelegt. Das mußte er sein und bevor sie sich ihn noch näher anschaute und dann eventuell doch einen Rückzieher machte, steuerte sie geradewegs auf ihn zu.

"Tja, also, da bin ich. Und jetzt?" sprach sie ihn an. Er musterte sie amüsiert von oben bis unten, "tja, laß uns doch einen Drink nehmen an der Bar!"

Es blieb nicht bei einem Drink. Und es wurde später. Sie hatten sich vorgestellt, aus ihrem Leben erzählt, immer etwas vage gehalten, und ab und zu beschlichen sie leise Zweifel. War es richtig, was sie hier tat? Nun, er gefiel ihr, auch wenn sie es ein bißchen merkwürdig fand, daß er das Telefongespräch nie erwähnte. Aber die Cocktails zerstreuten ihre Zweifel und ließen sie zutraulicher und zärtlicher werden. So daß er irgendwann einen Hotelschlüssel aus der Tasche zog, sie fragend anschaute und sie folgte ihm. Alles war so selbstverständlich.

Und es war gut. Es war gut und es tat ihr gut. Danach lagen sie nebeneinander und rauchten die übliche Zigarette. "Tja," meinte er, "wenn ich dann morgen wieder abreise, dann hab ich doch ein wunderschönes und unerwartetes Erlebnis gehabt! Also, wie du da so zielbewußt auf mich zugesteuert kamst, was hattest du denn eigentlich vor, hattest du eine Verabredung mit einem anderen Mann?"

Ihr stockte der Atem. Oh lieber Gott, was war nur in ihrem Leben aus den Fugen geraten? Schon wieder eine Situation, die sie so nicht erwartet hatte! Er war gar nicht ihr Telefonpartner, sondern irgendein Fremder, der auf Geschäftsreise.... Aber war sie nicht auch mit einem Fremden verabredet gewesen? Den anderen kannte sie ja ebenfalls nicht nicht!

Das war aber doch zuviel. Sie raffte ihre Sachen zusammen. Mit dieser Situation wurde sie nicht fertig und kopflos vor Verwirrung zog sie sich an, ließ ihm nicht mal Zeit für eine schnelle Verabschiedung und flüchtete aus dem Zimmer.

Sie nahm den Lift und ordnete erst mal ihre Kleidung. Allen Mut der Welt brauchte sie, um wiederum selbstverständlich die Halle zu durchqueren, nur kurz schaute sie sich um. Ihr Rendezvous-Partner war ja inzwischen bestimmt nicht mehr da, so lange wartet doch niemand! Bestimmt hatte er angenommen, daß sie der Mut verlassen hätte und war gegangen.

Als sie vor das Hotel trat und erstmal tief durchatmete, verließ ein netter Mann mit einer 'Rundschau' auffällig unauffällig unter dem Arm zusammen mit einer jungen Dame ebenfalls das Hotel. Und sie schnappte ein paar Gesprächsfetzen auf:"Lassen Sie uns doch in's Bogeys gehen, dort etwas trinken, da hätte ich heute sowieso fast ein Rendezvous gehabt......."

C. Mueller-Goedecke